Ahoi in die Runde
Ich weiss, Wahlen in der Schweiz interessieren ausserhalb unserer Landesgrenzen in der Regel kaum, erst recht, wenn es sich um Kantonalwahlen handelt. Was heute bei den Wahlen in Bern passiert ist, ist allerdings einen kleinen Bericht wert. Man lese und staune:
Zur Ausgangslage:
Der Kanton Bern ist der zweitgrösste Kanton der Schweiz und aufgrund seiner Ausdehnung sehr inhomogen. Da sind auf der einen Seite 3 städtische Agglomerationen, die einem grossen ländlichen und konservativen Raum gegenüberstehen. Bisher hatte der ländliche Raum den städtischen in Parlament und Regierung dominiert. Die Sitzverteilung in der 7-köpfigen Regierung sah traditionell so aus:
3 SVP (national-konservative Partei)
2 FDP (bürgerlich-liberale Partei)
2 SP (die gemässigte Linke)
Da für die Regierungswahlen das Majorzsystem gilt, war es immer so, dass sämtliche Kandidaturen der rechtsbürgerlichen Mehrheit mit deutlichem Vorsprung auf die Linken gewannen. Es herrschte ein "freiwilliger Proporz", das heisst, die rechten Parteien haben zusammen nie mehr als 5 Kandidaten aufgestellt, damit die Linken dem Wählerverhältnis entsprechend 2 Sitze bekamen. Doch diese Anerkennung der Verhältnisse wurde diesmal von der rechtsbürgerlichen Seite aufgekündigt.
Der bürgerliche Übermut
Wie immer in den vergangenen Jahren beschlossen SVP und FDP, wieder mit einer gemeinsamen Wahlliste aufzutreten. Damit sollte einmal mehr gesichtert werden, dass das bürgerliche Paket aufgrund des Majorzes seine Kandidaten alle durchbringt. Bei der Delegiertenversammlung der SVP geschah allerdings kurioses: Entgegen der Empfehlung der Parteileitung, wiederum 3 Kandidaten zu nominieren, entschied sich die Basis für eine Viererkandidatur. Die Begründung: Man hätte 4 sehr gute Kandidaten und könne sich nicht durchringen, einen davon über die Klinge springen zu lassen. Die SVP beanspruchte somit die absolute Mehrheit in der Regierung, obwohl diese Partei im Kanton nur auf knapp 30 % Wähleranteil zählen konnte. Die FDP ihrerseits wollte nicht auf einen ihrer zwei Kandidaten verzichten und so kam eine bürgerliche 6-er-Wahlliste zustande.
Dies war ein Affront gegenüber der Linken, denn aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre musste davon ausgegangen werden, dass dank des Majorzsystems die 6 bürgerlichen Kandidaten gewählt würden. Die Linke, die im Kanton auf einen Wähleranteil von mindestens einem Drittel zählen kann, sollte also nur noch einen von 7 Sitzen erhalten. Die Linke reagierte zwar konsterniert, änderte aber nichts an ihrer bisherigen Taktik, 4 Kandidaten aufzustellen. Sie stellte erneut eine Liste mit 3 SP und 1 Grünen auf.
Die Reaktion in den Medien war gespalten. Einerseits monierte man den arroganten Machtsanspruch der SVP und bezichtigte die FDP (die in den letzten Jahren kontinuierlich Wähleranteil verloren hatte), der SVP als Steigbügelhalter zu dienen und ebenfalls einen ihrem Wähleranteil entsprechend vermessenen Anspruch geltend zu machen. Der Linken wurde vorgeworfen, sie reagiere zu schwach auf die bürgerliche Herausforderung. Sie hätte ebenfalls mehr Kandidaten aufstellen müssen...
Der Wahltag
Im Lauf des Nachmittags liefen in der Wahlzentrale wie üblich zuerst die Resultate der kleineren, ländlichen Wahlkreise ein. Das bekannte Muster bestätigte sich: In den ländlichen Wahlkreisen lagen die Kandidaten des bürgerlichen Lagers vorne. Man stellte aber fest, dass viele bürgerliche Wähler ihre Liste nicht unverändert eingeworfen hatten, sondern einige Kandidaten gestrichen hatten. Die linke Wahlliste lief hingegen mehrheitlich unverändert ein. Die Spannung begann zu steigen. Könnte es vielleicht sein, dass viele Rechtswähler den Machtanspruch ihrer Parteien nicht goutierten? Es wurde immer wahrscheinlicher, dass die Linke ihren zweiten Sitz vielleicht doch retten könnte. Um 18.00 Uhr stand fest, dass 2 SVP und 1 SP gewählt waren. Noch aber fehlten die zwei Wahlkreise Bern-Stadt und Bern-Agglomeration, die zwei grössten Wahlkreise mit einem mehrheitlich linken Wähleranteil. Es wurde spannend.
Das Resultat
Um 19.00 Uhr wurde schliesslich das Resultat bekanntgegeben:
Am meisten Stimmen machte - die bisherige Baudirektorin von der SP. Aber hallo!
dann folgten:
2. SVP (bisher)
3. SVP (bisher)
4. der Kanditat der Grünen (neu)
5. ein zweiter Kandidat der SP (neu)
6. FDP (neu)
7. der dritte Kandidat der SP (neu)
Fazit:
- Die Bürgerlichen wurden für ihre Arroganz regelrecht abgewatscht und verloren ihre Regierungsmehrheit.
- Die Linke brachte alle ihre Kandidaten durch und stellt die Regierungsmehrheit.
Und die Moral von der Geschicht:
Der Wähler ist doch gescheiter, als man gemeinhin denken könnte. Die linke Seite wurde durch den unverhältnismässigen Machtanspruch der bürgerlichen Parteien mobilisiert. Insbesondere junge Wähler in den Agglomerationen standen auf und wählten (vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben), um die absolute Mehrheit der rechtskonservativen SVP zu verhindern. Erstmals wurde der ländliche Raum von den Städten überstimmt.
Nun kann man gespannt sein auf die Resultate der Parlamentswahl. Die bisherigen Resultate deuten allerdings nicht darauf hin, dass es hier ebenfalls zu einer linken Mehrheit kommen dürfte.
Grüsslis
Fabienne
PS: Jetzt muss nur noch der Berlusclowni weg, und meine Welt ist wieder ein Stück heiler... ;-)
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3 Wochen Winter sind genug
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